Lydia Malin
Kategorie: Bildung, Forschung & Lehre
Doktorandin am Graduiertenkolleg SOCLIFE

Lydia Malin

Seit 2013 promoviere ich am Graduiertenkolleg SOCLIFE an der Uni Köln. Mein Stipendium endet im September diesen Jahres, da ich aufgrund der Geburt meiner Tochter ein zusätzliches Jahr gefördert werde. Ich werde bis dahin voraussichtlich den überwiegenden Teil meiner kumulativen Dissertation fertig haben und bis Ende des Jahres das Gesamtdokument einreichen.

Nebenbei arbeite ich seit nun fast sieben Jahren am Institut der deutschen Wirtschaft, wo ich momentan lediglich mit 5,5 Stunden beschäftigt bin und hauptsächlich für Zuarbeiten im Projekt Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung verantwortlich bin: Das bedeutet: ich redigiere Texte, recherchiere Daten, checke und schreibe Syntaxen für Studien oder bereite Präsentationen vor.

Wie bist du zur Soziologie gekommen?

Nach meinem Abitur im Jahr 2001 wusste ich nicht wirklich wohin ich will. Da alles, was mich interessiert hätte, durch den NC außerhalb meiner Reichweite war (Abi-Durchschnitt von 2,8), habe ich auf Druck meiner Eltern nach Praktika gesucht. Durch eine Bekannte kam ich so zu einem Ausbildungsplatz in der Hörgeräteakustik. Das war eigentlich ein sehr schöner und vielseitiger Beruf: filigrane Arbeiten im Labor, Soziales mit den Omas und Opas, betriebswirtschaftliche Aspekte in der Abrechnung und Kreatives bei der Schaufenstergestaltung.

Nach der Ausbildung wechselte ich das Unternehmen und stieg schnell auf, bekam meine eigene Filiale und viel positives Feedback vom Chef aber auch von meinen Kund*innen. Etwas, was ich später sehr vermissen sollte! Alles in allem hätte ich sehr zufrieden sein können, nur war ich immer noch in derselben Stadt, in der ich geboren wurde, verbrachte 10 Stunden pro Tag im selben Laden und viel Zeit in der mit Teppich ausgekleideten 4m² Messkabine.

Als mein Chef mir die Finanzierung eines Meisterkurses anbot - gekoppelt an die Verpflichtung die nächsten 5 Jahre weiterhin für ihn zu arbeiten - hab ich entschieden, dass ich noch was anderes sehen will. Ich hatte den massiven Drang mich weiter zu entwickeln, zu erkunden, was in mir steckt und mich zu entfalten. Raus aus der Enge und Freiheit schnuppern.

So verließ ich 2006 meine Profession, wechselte die Stadt und begann Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf zu studieren, wirkte an einem sozialen Projekt in Ecuador mit und reiste viel. Sowi war in Düsseldorf eine Kombination aus den drei Fächern Soziologie, Politik- und Medienwissenschaft.

Zu Beginn war ich überzeugt: “Ich mach was mit Medien!”. Im Oktober 2007 begann ich daher für ein Jahr als studentische Hilfskraft in der Landespolitik beim WDR Düsseldorf zu arbeiten. Eine spannende Zeit mit netten Kolleg*innen, vielen Einblicken und der Erkenntnis: Medien ist definitiv nix für mich! Nun brauchte ich einen neuen Nebenjob und fragte unseren Praktikumskoordinator, ob er bei seinen Kontakten nicht auch jemanden hätte, der eine studentische Hilfskraft sucht.

So kam ich zu einer Stelle am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einem qualitativen Projekt zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Das war mein Glück, denn hier begegnete ich Vollblut-Forschern, die mich mit ihrem Enthusiasmus für die Soziologie begeisterten. Zudem durfte ich bei den Treffen mit den Ministerien dabei sein und konnte beobachten, welchen wichtigen Beitrag soziologische Forschung auch bei der Gestaltung politischer Prozesse spielt.

Mein Hunger war geweckt und ich war neugierig zu sehen, wie Forschung in verschiedenen Bereichen funktioniert – also auch universitär. So war ich erfreut, als der Professor meines erziehungswissenschaftlichen Zusatzmoduls auf mich zukam und mich als studentische Hilfskraft (SHK) abwarb. Im Oktober 2010 begann ich dann erst als SHK und nach meinem B.A. Abschluss als wissenschaftliche Hilfskraft (WHK) am Lehrstuhl für Bildungsforschung und Bildungsmanagement zu arbeiten. Hier war Forschung noch freier, aber auch weniger praxisorientiert. Tolle Erkenntnisse blieben halt Erkenntnisse ohne signifikanten Effekt.

Zudem konnte ich beobachten, dass quantitative Methodenkompetenzen stärker gefragt waren als qualitative und entschied mich für den Master an der Universität zu Köln, da dieser im Bereich Methoden stabiler aufgestellt ist. Optimal wäre Mannheim gewesen, aber dort hätte ich vermutlich zu viel nacharbeiten müssen.

Als mir das Pendeln für den Nebenjob zu viel wurde, suchte ich mir 2012 eine neue SHK-Stelle am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in der Abteilung für Berufliche Bildung. Hier  ist Forschung sehr praxisorientiert und zudem wurde ich sehr unterstützt, durfte direkt mit an Studien arbeiten und erschien sogar als Co-Autorin auf der Publikation. Das gefiel mir!

Zudem ist das IW ein sehr angenehmer Arbeitgeber mit vielen Sozialleistungen - eigener Bibliothek, Fitnessraum im Keller und Mutter-Kind-Büro - sodass meine anfänglichen Vorbehalte, für die Wirtschaftslobby zu arbeiten, schnell einem gesunden Pragmatismus wichen. Schon ein halbes Jahr vor meinem Masterabschluss kam mein Chef auf mich zu und fragte, ob ich danach nicht ganz einsteigen wolle und ich nahm an. So musste ich nicht parallel zur Masterarbeit auf Jobsuche gehen und kein Hartz IV beantragen.

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Wann und weshalb hast du dich für eine Promotion entschlossen?

Nach der Abgabe meiner Masterarbeit im April 2013 kam die Professorin, bei der ich meine Abschlussarbeit geschrieben habe, auf mich zu und motivierte mich, doch weiter zu machen. Im Graduiertenkolleg SOCLIFE sei noch ein Restplatz zu vergeben, da einige Bewerber nachträglich abgesprungen waren. Da ich weiß, dass eine Entfristung - an der Uni, dem IAB oder dem IW - immer eine Dissertation voraussetzt, musste ich eigentlich nicht lange überlegen. Zwar musste ich hierfür innerhalb von vier Tagen ein Exposé für die Bewerbung schreiben, plus Zusammenfassung meiner Masterarbeit auf Englisch, plus CV etc., aber der Aufwand hat sich gelohnt.

Zudem bot mir das Graduiertenkolleg die Möglichkeit ein bisschen Zeit reinzuholen, da man hier über ein Stipendium finanziert wird und nicht arbeiten muss/darf/soll, sondern seine Dissertation optimalerweise in drei Jahren abschließt. Ich bekam den Platz und legte voller Energie los meine eigenen Ideen zu entwickeln.

Wo siehst du die größten Schwierigkeiten als Doktorandin?

Schnell musste ich feststellen, was die Probleme des Forscherdaseins sind: 1) oft sind andere einfach schneller mit derselben Idee, 2) es gibt nicht für jede tolle Frage passende Daten, 3) eigene Daten zu erheben ist teuer und aufwendig, 4) qualitative Forschung und Methodenmixe sind bei Zeit- und Geld-Knappheit nicht umsetzbar, 5) es ist gar nicht so einfach immer neue spannende Fragen zu stellen, wenn man gerade frustriert ist, weil die vorherigen, wieder mal aus irgendeinem Grund nicht funktionieren.

Gottseidank hat meine Doktormutter mich im ersten Jahr sehr intensiv betreut, mich immer wieder motiviert, jede meiner Ideen ernsthaft mit mir diskutiert und mir erzählt, dass sie auch im ersten Jahr oft an sich gezweifelt hat! Wenn man dann aber nach dem ersten Jahr Kampf, Schweiß und nicht geschlafenen Nächten doch ein tragfähiges Konzept findet und plötzlich selber laufen lernt ist das ein unbeschreibliches Gefühl.

Das ist der Moment warum man promovieren muss, wenn man in der Forschung Karriere machen will: am Scheitern wachsen - immer und immer wieder! Nicht aufgeben! Lernen, dass man alles lernen kann! Jetzt habe ich viele verschiedene Versionen meiner wissenschaftlichen Artikel und weiß selbst, was wo verbesserungswürdig ist oder welche Methode bei welcher Forschungsfrage Sinn macht. Und doch bin ich noch nicht am Ende. Jetzt muss ich lernen los zu lassen, es irgendwann gut sein zu lassen, auch wenn man immer noch etwas findet, was man anders oder besser machen könnte. Denn wenn man nicht loslässt, ist wieder jemand anders schneller und das nächste Papier landet in der Ablage P. 

Wie unterscheidet sich eine Promotion am Graduiertenkolleg von einer Promotion an einem Lehrstuhl?

Die Uni als Arbeitgeber ist leider nicht sehr sozial. Wir von SOCLIFE sind über unsere großzügigen DFG-Stipendien gut abgesichert, aber Doktoranden, die auf Projektstellen oder einfach als Doktoranden am Lehrstuhl arbeiten, haben aus meiner Sicht ein hartes Los.

Ein weiterer Unterschied ist, dass ich ausschließlich für mich selbst arbeite. Das hat Vor- und Nachteile: Gut ist, dass man keine Zeit mit Organisatorischem oder der Lehre verliert. Schlecht ist, dass man ALLEINE ist. Es fehlt ein Team, was an gleichen oder angrenzenden Themen arbeitet. Man hat zudem nicht automatisch die Möglichkeit Erfahrungen in der Lehre zu sammeln, was ebenfalls wichtig wäre für eine akademische Wissenschaftskarriere. Wenn ich jünger gewesen wäre, hätte ich vermutlich die Dissertation innerhalb eines Projektes bevorzugt. Als  externer Doktorand – was eine weitere Option darstellen würde – kriegt man die Dissertation oft geschenkt, während die auf die akademische Laufbahn ausgelegten Graduiertenkollege doch einen höheren Anspruch anlegen  – insbesondere an die Methodenkompetenz. Da kann man auch manchmal weinen, wenn man sieht wer wofür denselben Titel erhält.

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Wie hast du dich im wissenschaftlichen System zu positionieren versucht?

Ich habe nicht nur Erfahrung in der Elfenbeinturm-Forschung sondern auch in der Forschung, die in der Politikberatung gebraucht wird und habe generell gelernt meine Kompetenzen flexibel an die Bedarfe meiner Arbeitgeber anzupassen. Ich habe mich bewusst methodisch breit aufgestellt und habe keine Angst neues zu lernen, denn nach meiner Dissertation weiß ich, dass ich alles lernen kann und mir Statistik liegt. Das heißt, ich habe vergleichsweise wenig Sorge, dass ich auch zukünftig immer einen Platz finden werde, den ich erfolgreich ausfüllen kann.

Meiner Meinung nach geht akademische Wissenschaft nur, wenn man sicher ist, es zeitnah zu einer Professur zu schaffen, oder einen gut verdienenden Partner hat, der einen zur Not auch mal mitträgt. Ich habe beides nicht und zudem ein eigenes und ein Stiefkind und kann nicht erwarten, dass wir zu Viert umziehen, damit ich eine halbe Projektstelle für zwei Jahre antreten kann. Aus diesem Grund bin ich sehr froh, immer auch außeruniversitär gearbeitet zu haben.

Wie sieht dein typischer Arbeitsalltag als Doktorandin aus?

Ich sitze alleine in meinem Büro und recherchiere, denke, lese, schreibe, rechne, bereite Konferenzen vor, mache Reisekostenabrechnungen, hoffe auf Akzeptanz eines Artikels bei einem Journal, kämpfe mit vielen Revise-Recommendations und versuche mich mit meinen Co-Autoren abzustimmen. Zu Beginn musste ich auch noch 5-6 Scheine in Methodenseminaren machen.  

Wie hat die Geburt deiner Tochter deine Promotion beeinflusst?

Die Geburt meiner Tochter hat sehr vieles verändert. Der Plan war, dass vierte, zusätzliche Jahr meines Stipendiums zu nutzen, damit man nicht gleich zu Beginn des Erwerbslebens den Arbeitgeber direkt vor den Kopf stößt. Allerdings haben mich die unerwarteten Begleiterscheinungen auch im Hinblick auf meine Arbeit beeinflusst.

Ich war vorher nahezu Anti-Feministin und hatte nie Schwierigkeiten aufgrund meines Geschlechts. Jetzt auf einmal bin ich die Mutti, - so scheinen es andere zu sehen –die entweder nicht mehr ernst genommen wird oder besonderen Schutz braucht, dabei habe ich bislang alle Deadlines gehalten. Zwar habe ich jetzt viel härtere Time-Constrains und kann nicht mehr nachts arbeiten, wenn mein Kind mich nicht lässt, aber ich werde besser organisiert und effizienter. Das wissen nur nicht alle um mich herum und schrauben dementsprechend ihre Ansprüche an mich runter.

Das ist extrem enttäuschend und schmerzhaft, wenn Du an Dich selbst einen hohen Anspruch hast. Dazu kommt, dass ich mit meiner Familienkonstellation und meiner Tochter nicht in der akademischen Wissenschaft Karriere machen kann - selbst wenn ich wollte. Meine Tochter ist das Beste, was mir je passiert ist, das definitiv! Aber sie hat mein Leben und meinen beruflichen Werdegang viel stärker beeinflusst, als ich es je erwartet hätte.

Ohne ein soziales Netzwerk, das Dich dabei unterstützt, geht es nicht. Mein Kind hätte sich nicht mit 3 Monaten mal eben bei Fremden abgeben lassen. Mein DFG-Stipendium wurde aufgestockt mit Familienzuschlag, der geht jetzt 1:1 in die Kinderbetreuung  durch die Mutter einer Freundin und ermöglicht mir ganze 15h pro Woche arbeiten an meiner Dissertation. Demzufolge muss ich extrem effizient sein und auf Café mit Kollegen überwiegend verzichten. 

Welchen Rat würdest du Studierenden geben, die eine wissenschaftliche Karriere einschlagen möchten?

Überlegt euch, ob Ihr bereit seid, die Kompromisse einzugehen, die Ihr dafür eingehen müsst. Die jungen Nachwuchswissenschaftler sind sehr kompetitiv, das Geschäft ist schnelllebig. Man darf nicht zart besaitet sein. Es wird nicht mit Kritik gespart und es gibt keinen Dank! Man steht permanent unter Druck abzuliefern, aber die Leistungen werden nur von einer sehr kleinen Sparte Experten wahrgenommen. Und doch ist es ein ganz faszinierender Beruf, der nie langweilig wird, der Dich ewig wachsen lässt (so hoffe ich zumindest) und der Dir ermöglicht unabhängig von anderen Deine Höhen für Dich zu finden.

Vielen Dank für das Interview!

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Veröffentlicht am: 18. Mai 2017