Ivonne Fischer
Kategorie: Organisationen, Kultur & Politik
Puppenspielerin bei "Urania - Wissen macht Theater"

Ivonne Fischer

Seit 2016 bin ich Puppenspielerin in meinem eigenen Theater, dem "Urania - Wissen macht Theater". Unser Ziel ist es, Kinder mit selbstgeschriebenen Stücken für Wissensthemen und Wissenschaft begeistern. Dabei profitiere ich in vielen Bereichen von meinem Soziologie-Studium.

Wie sind Sie zur Soziologie gekommen?

Ui, da muss ich etwas ausholen… Also ursprünglich wollte ich was mit Theater oder Musik machen, hab in der Schulzeit in einer Schülerband gespielt und mich mit einem Kabarettensemble, welches bei mir im Haus wohnte, angefreundet. Als ich aus der Band flog und auch fast zeitgleich meine Freundschaft zu den beiden Kabarettisten in die Brüche ging, wollte ich nie wieder was mit Musik oder Kunst überhaupt machen.

Also die Frage, was ich dann machen soll. Ich stand kurz vor dem Abi und musste mich langsam entscheiden. Also habe ich die üblichen Informationsveranstaltungen mitgemacht und mich dann eher für ein Studium der Sozialpädagogik interessiert. Als das nicht klappte, habe ich mich zum Wintersemester 2000/2001 übergangsweise in Chemnitz für die Soziologie eingeschrieben und wollte die Zeit nutzen, mich zu orientieren und ggf. den Studiengang noch einmal zu wechseln. Bei der Einführungsveranstaltung habe ich dann erfahren, dass wir ein Praktikum machen müssen, “und das können Sie auch am Theater, Hauptsache, es hat was mit Soziologie zu tun”. Und da hatte es mich wieder.

Ich habe also den Studiengang nicht gewechselt, dafür aber mein Praktikum am Städtischen Theater Chemnitz absolviert und dabei einen ersten Einblick in diese Welt bekommen sowie die Gelegenheit, in einer kleinen Rolle selbst auf der Bühne zu stehen, obwohl ich mir geschworen hatte, nie wieder Bühne.

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Wie sind Sie selbständige Puppenspielerin geworden?

Nach meinem Praktikum habe ich mit Amateurtheater angefangen, war Mitglied in der Chemnitzer Theatergruppe UnArt e.V., habe am Theater oft ausgeholfen und verschiedene Projekte mit organisiert und mich im Studium vor allem mit der Theatersoziologie und Theaterwissenschaft beschäftigt. Als es 2008 dann um die Frage ging, über welches Thema ich meine Diplomarbeit schreiben werde, bekam ich von zwei Professoren gleichzeitig Themen vorgeschlagen (Arbeitsbedingungen am Theater vs. Kommunikation zwischen Schauspieler und Publikum während der Vorstellung).

Leider bin ich dann kurz vor meinem Abschluss krank geworden, habe aber meine Diplomarbeit noch beenden können. Insgesamt hab ich durch die Krankheit 1,5 Jahre Zeit verloren, in der ich mich nicht bewerben konnte und eine neue Generation Soziologen heran wuchs, sodass ich nach meiner Genesung lange Zeit arbeitslos war und als unvermittelbar galt, da Soziologen nicht explizit gesucht wurden und ich aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung am Theater auch eher in diese Richtung verortet wurde.

Also absolvierte ich 2009 eine sechsmonatige Weiterbildung zur PR-Referentin in Stuttgart, um über diese Zusatzausbildung einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Leider machte mir die Weltwirtschafts- und Bankenkrise auch hier wieder einen Strich durch die Rechnung, sodass ich nach der Weiterbildung nach Chemnitz zurück kehrte und als Kartenverkäuferin bei den Städtischen Theatern Chemnitz auf geringfügige Beschäftigung arbeitete.

Im Januar 2012 erreichte mich dann ein Job-Angebot der Chemnitzer Umweltbühne. Diese suchten eine Vertriebsassistentin und Projektkoordinatorin. Dort habe ich bis 2016 gearbeitet, habe alle Aufgaben gemacht, die ein Puppentheater im Wanderbetrieb mit sich gebracht hat (ausgenommen die Buchhaltung und die Herstellung der Puppen und Bühnenbilder) und erhielt im März 2016 dann meine betriebsbedingte Kündigung.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits den Entschluss gefasst, mich mit einer eigenen Puppenbühne selbständig zu machen, denn die Umweltbühne hatte zuletzt 165 Vorstellungen im Jahr und einen Umsatz, mit dem man leben konnte. Am 07. November 2016 habe ich dann "Urania - Wissen macht Theater" gegründet und bin seitdem selbständig tätig.

Was ist das Urania Theater und welche Aufgaben übernehmen Sie dort?

"Urania - Wissen macht Theater" ist eine mobile und deutschlandweit tätige Puppenbühne, welche mit selbstgeschriebenen Stücken Kinder für Wissensthemen und Wissenschaft begeistern möchte. Dabei werden die Kinder in die Aufführungen aktiv einbezogen, weshalb es bei Urania - Wissen macht Theater auch keine festen Texte, sondern nur rote Handlungsfäden gibt. Alles andere entsteht in Zusammenarbeit mit den Kindern als Ideen- und Antwortfinder und viel Improvisation unsererseits. Ich - als Inhaberin der Bühne - schreibe die Stücke selbst oder in Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Kay Haberkorn, übernehme sämtliche Organisationsarbeiten sowie die Werbung, die Pflege des Fundus, die Proben und die Einarbeitung neuer Kollegen in die Stücke und was in einem Wanderbühnenbetrieb sonst noch so an Aufgaben anfällt.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Theater zur Wissensvermittlung zu gründen?

Die Idee stammt ein Stück weit aus meiner Tätigkeit bei der Umweltbühne, nur dass uns die dortigen Stücke in puncto Wissensvermittlung nie so richtig zufrieden gestellt haben. Dort reichte es oft, das Thema nur kurz zu streifen oder ein paar Begriffe aus dem Feld zu verwenden.

Wir haben aber festgestellt, dass man da noch viel stärker in die spielerische Wissensvermittlung einsteigen kann und die Kinder nehmen dies auch sehr gut an. Es gab auch schon einige Situationen, wo uns die Kinder trotz guter Vorbereitung und Recherche unsererseits mit ihrem Wissen total verblüfft haben.

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Sind Sie hauptberuflich im Urania tätig?

Im Theater gibt es eine Regel: Wer es fünf Jahre dort aushält mit all seinem Chaos, den Arbeitszeiten und -bedingungen, der bleibt für immer. Bei mir sind es mittlerweile 13 Jahre allein im Bereich Darstellende Kunst und trotz des Vorsatzes, nie wieder Bühne. Ich denke, das sagt alles.

"Urania - Wissen macht Theater" ist mein Hauptbroterwerb. Dazu bin ich nebenbei immer noch am Städtischen Theater Chemnitz als Statistin in verschiedenen Stücken zu erleben, wodurch ich einnahmeschwache Zeiten ein bisschen abfedern kann. "Urania - Wissen macht Theater" ist mein Baby, mein Stolz, ein eigenes Theater zu haben (was schon vor der Umweltbühne mein Traum war) und auch einigermaßen davon leben zu können.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus? 

Ich glaube, DEN typischen Arbeitstag gibt es bei mir nicht, da es ein Unterschied ist, ob ich auf Tour bin und irgendwo spiele, ob ich in der Werkstatt bin und bei der Produktion der Bühnenbilder den Leimpinsel oder Akkuschrauber schwinge, ob ich in der Bibliothek bin, um mir neue Wissensthemen anzueignen oder schlichtweg in meinem Wohnzimmer am Rechner sitze und die typische Büroarbeit mache. Dies ist derzeit auch noch mit die größte Arbeit, da es "Urania - Wissen macht Theater" erst seit einem Jahr gibt und noch viel in puncto Werbung/Werbematerialien getan werden muss.

Der Unterschied zu meinem früheren Festangestelltenverhältnis ist: Ich habe mehr Freizeit und kann selbst entscheiden, wann ich arbeite und wann nicht. Das war früher nicht möglich und wurde von meinem damaligen Arbeitgeber auch nicht gern gesehen.

Was sind die Vor- und Nachteile Ihres Berufs?

In allererster Linie gefällt mir an meiner Arbeit natürlich der Spaß an der Improvisation mit den Kindern während der Vorstellung, die tollen Ideen, die uns die Kinder liefern und uns damit immer wieder neue Ansätze und Spielmöglichkeiten zeigen, und die strahlenden Kinderaugen, in die man bei der Verabschiedung schaut.

Schwierigkeiten sind dann eher im monetären Bereich zu suchen. Einmal die Bereitschaft der Auftraggeber, für unsere Vorstellungen/Leistungen eine angemessene Gage zu zahlen (was aber auch oft daran scheitert, dass die Interessenten selbst finanziell nicht gut da stehen) und im Folgeschluss daraus von unserer Arbeit leben zu können. Aber ich muss dazu sagen, dass wir bis jetzt noch nicht verhungert sind und für ein Unternehmen, welches gerade sein erstes Jahr abschließt, doch ganz gut dastehen.

Welche Schritte durchlaufen Ihre Theaterstücke, bis sie - von der ersten Idee ausgehend - tatsächlich bühnenreif sind? 

Im Grunde sind es immer die gleichen Schritte, die eine Produktion benötigt. Themenfindung - Recherche - Ideenfindung - Konzeption - Entwürfe von Puppen und Bühnenbild - Produktion - Premiere.

Lediglich die Themenfindung kann sich unterscheiden, je nachdem ob wir uns das Thema selbst setzen oder vorgegeben bekommen. In der Regel starten wir mit einem bestimmten Thema, z.B. Geometrie (das wurde uns damals vorgegeben von der Phänomenta Flensburg, einem Mitmachmuseum für Kinder). Uff, Geometrie - wie soll man das einigermaßen charmant umsetzen?

Dann folgen Tage und Wochen des Grübelns, wie man das am dümmsten anfängt, sucht sich ggf. Literatur, um vielleicht irgendwo einen Grashalm zu finden, an dem man die ganze Sache aufhängen kann, diskutiert auch mit seinen Spielerkollegen, erfindet und verwirft und irgendwann kommt die Idee, erst einmal nur ein kleiner Ansatz, und während man diesen aufschreibt, damit er nicht verloren geht, entstehen Bilder, Szenen und am Schluss eine ganze Geschichte im Kopf und die Hand hat zu tun, bei den ganzen Gedanken überhaupt mitzukommen.

Beim Geometrie-Stück war unsere Idee, dass wir die Geometrie anhand eines Puzzles aus verschiedenen geometrischen Figuren erklären und einen Bezug herstellen, wozu man Geometrie überhaupt braucht, das Ganze in einem Märchen verpackt und schon hatten wir einen Bauerssohn und eine entführte Prinzessin, dazu eine geheimnisvolle Zeichnung aus Kreisen, Dreiecken und Vierecken und ein König, der ein halbes Königreich und die Prinzessin demjenigen versprach, der das geliebte Kind findet. Dazu wurde der Bauerssohn dann auf Reisen geschickt und lernte verschiedene Leute kennen, die aufgrund ihres Berufes in irgendeiner Form mit Geometrie zu tun hatten, z.B. den Landvermesser, den Astronom oder den Architekten, und von jedem erhielt er eine geometrische Figur, die in irgendeiner Weise mit dessen Beruf zu tun hat.

Diese Ideenskizze ging dann an meinen damaligen Bühnenbildner Michael Schmidt, der seinerseits auf Ideensuche ging und viel zur Entwicklungsgeschichte der Geometrie recherchierte und diese Erkenntnisse in seine Bühnenbilder einfließen ließ und somit das Stück auch historisch korrekt abrundete. Micha erarbeitete also die Bühnenbilder und Puppen als Entwurf und erst, als ich mein ok dazu gab, begannen die Arbeiten am Bühnenbild, wozu wir eine eigene Schneiderin haben, bzw. an den Puppen und Requisiten, die Micha selbst herstellt.

Dort, wo Hilfe gebraucht wird, springe ich auch mal ein und schwinge Akkuschrauber, Pinsel oder Säge. In der Zwischenzeit wird das Stückkonzept mit dem Puppenspieler, der die Premiere mit mir spielen soll, immer wieder durchgesprochen und theoretische Probleme im Handlungsablauf gelöst. Richtig Proben können wir leider nicht, da wir nie wissen, welche Reaktionen von den Kindern kommen. Deshalb sehen wir auch erst, ob ein Stück funktioniert oder nicht, wenn die Premiere und weitere Vorstellungen gelaufen sind.

Oft aber stellen wir fest, dass die Stücke besser bei den Kindern ankommen als gedacht und erleben selbst so manche Überraschung, auf die wir während der ganzen Produktion nicht gekommen sind. Das hält unsere Stücke lebendig und sie können sich immer weiter entwickeln.

Wie profitieren Sie bei der Arbeit im Theater von Ihrem Soziologie-Studium?

Grundsätzlich habe ich im Studium gelernt, wie man sich schnell und effektiv ein bestimmtes Thema erschließt und aneignet, wie man die richtige Literatur findet und diese erkenntnisorientiert durcharbeitet. Zum zweiten habe ich mich während meines Studiums viel mit Arbeitssoziologie beschäftigt, wodurch ich gelernt habe, nicht nur auf Effizienz und Geld zu achten (das habe ich im Nebenfach VWL zur Genüge eingetrichtert bekommen), sondern auch darauf, dass es meinen Kollegen und Freunden bei der Arbeit mit Urania gut geht und was z.B. die stressige Tourtätigkeit mit ihnen macht.

Auch im Bereich Teamführung, Organisation und Motivation konnte ich mir viel aus dem Studium nehmen. Hinzu kommen noch meine Nebenfächer VWL und öffentliches Recht, welche mir im Bereich der Betriebsführung und Vertragsverhandlungen den richtigen Background geben.

Zusätzlich angeeignet habe ich mir natürlich alles, was mit dem Theaterspielen, insbesondere Puppenspielen, zu tun hat, also wie muss ein Theaterbetrieb laufen, damit er reibungslos funktioniert, wie muss ich die Puppe halten und bewegen, damit sie die Phantasie der Kinder anregt und glaubwürdig ist, wie muss ich mit der Stimme arbeiten, um die Puppen akustisch voneinander zu unterscheiden (oft hat man ja nicht nur eine Rolle zu spielen, sondern gleich zwei oder drei), wie kann ich auf die Ideen der Kinder richtig reagieren (Improvisationstraining) und und und.

Dazu auch alles, was die PR-Arbeit und Werbung anbelangt, welche Materialien verwende ich, wie gestalte ich die Homepage, welche Infos können veröffentlicht werden, welche nicht, welche Medien eignen sich am besten im Web 2.0 für mich, wie spreche ich potentielle Auftraggeber an, wie pflege ich meine Kontakte etc. pp. All das kam dann später durch meine Tätigkeit bei der Umweltbühne oder eben durch meine sonstigen Aktivitäten im Theater bzw. die Weiterbildung zur PR-Referentin dazu.

Was raten Sie Studierenden, die sich für eine Stelle als Puppenspieler/in interessieren?

Puppenspier/in ist ein Studiengang, der an den Schauspielschulen in Berlin und Stuttgart angeboten wird. Soweit ich weiß, werden dort auch Teilbereiche der Soziologie, insbesondere der Handlungssoziologie vermittelt. Wer also Puppenspielerin werden möchte, sollte sich lieber dort bewerben als den Umweg über das Soziologiestudium zu gehen.

Ich selbst hatte nie den Plan, Puppenspielerin zu werden, sondern bin über Umwege dazu gekommen, da meine Arbeit bei der Umweltbühne so erfolgreich war, dass ich viele Aufträge nicht hätte bedienen können, ohne selbst zu spielen. Mein Interesse fürs Theater sowie meine Erfahrungen als Statistin und Spielerin in einer Amateurtheatergruppe helfen mir sehr dabei überhaupt auf der Bühne als Puppenspielerin zu bestehen. Einen Vergleich oder Wettbewerb mit einem ausgebildeten Puppenspieler würde ich jedoch nicht antreten wollen ;-)

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Veröffentlicht am: 14. November 2017