Prof. Dr. G. Günter Voß
Kategorie: Bildung, Forschung & Lehre
Emeritierter Professor für Industrie- und Techniksoziologie

Prof. Dr. G. Günter Voß

Nach dem Abitur 1968 habe ich eine Laufbahn als Berufsoffizier eingeschlagen. Dort war ich im kommunikationstechnischen Bereich der Luftwaffe tätig, habe dann aber die meiste Zeit Lehrfunktionen in der Offizierausbildung ausgeübt. Aus persönlichen und politischen Gründen habe ich den Beruf aufgegeben, vor allem auch um ein Studium zu beginnen.

Ganz bewusst habe ich Soziologie gewählt, weil mich gesellschaftliche Fragen aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen sehr interessiert haben. Ich habe dann in München Soziologie (mit Psychologie und Politikwissenschaft) studiert. Mein anfängliches Interesse an einem praktischen Beruf hat sich dann sehr schnell in Richtung Wissenschaft verschoben - auch durch die sehr hilfreiche Ermunterung und Unterstützung meines damaligen Mentors Karl Martin Bolte.

Schon bald hat sich eine Spezialisierung in Richtung Arbeits- und Industriesoziologie ergeben, der ich bis heute eng verbunden bin (etliche Jahre war ich Sprecher der entsprechenden Sektion der DGS). Lange habe ich dann in München an der Universität in der Forschung gearbeitet, promoviert und habilitiert. Von 1994 bis 2015 war ich Professor für Industrie- und Techniksoziologie an der TU Chemnitz und bin seit meinem offiziellen Ausscheiden weiterhin wissenschaftlich (aber unabhängig) aktiv - nach wie vor betreue ich aber über Chemnitz Dissertationen.

Wie sah ein typischer Arbeitstag für Sie als Professor der Soziologie aus?

Es gibt für eine*n Professor*in keinen typischen Arbeitstag, weil mit diesem Beruf sehr unterschiedliche Aufgaben verbunden sind - was für mich den Reiz aber auch eine spezifische Belastung ausgemacht hat.

Zum einen ging es um die Hochschullehre mit vielfältigen direkten Lehr-, Prüfungs- und Betreuungsaufgaben. Daneben ist man unausweichlich intensiv in vielfältige Administrations-, Organisations- und Führungsaufgaben im Rahmen der universitären Selbstverwaltung eingebunden, die viel Zeit erfordern und ganz andere Belastungen mit sich bringen.

G. Günter Voß mit Roboter Heinz (Foto: Laura Voß)
G. Günter Voß mit Roboter Heinz (Foto: Laura Voß; Courtesy of MSc. J. Rogelio Guadarrama Olvera, Institute for Cognitive Systems/TU München)

Ich war etwa meine ganze Zeit Vorsitzender eines Prüfungsausschusses, habe in vielen aufwändigen Kommission mitgearbeitet und etliche geleitet (nicht nur an meiner Hochschule), war mehrere Jahre Institutsdirektor, Prodekan und vieles andere mehr.

Und nicht zuletzt habe ich dann als Wissenschaftler zu meinen verschiedenen Themen gearbeitet: Drittmittel eingeworben, Forschungsprojekte geleitet, selber „im Feld” geforscht, große Mengen von Texten gelesen und dann ununterbrochen selber publiziert, Vorträge gehalten, mein Fach (und die Soziologie insgesamt) intensiv in der Öffentlichkeit vertreten (eine Aufgabe, der ich mich stark verschrieben habe), kontinuierlich Gutachten geschrieben, als Berater für verschiedene Organisationen gearbeitet usw.

Diese verschiedenen (mit vielen Reisen verbundenen) Aufgaben musste ich lernen, geschickt auf meine Tage zu verteilen und abzugrenzen (und nicht zuletzt mit meiner Familie arrangieren), damit es bewältigbar blieb. Manches davon (nicht mehr die direkte Hochschullehre) bestimmt nach wie vor meine Alltage - nicht nur Lesen, Publizieren, Vorträge halten, Interviews geben usw., sondern die intensive persönliche Betreuung meiner Doktorand*innen, denen ich mich eng verbunden fühle.

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Was haben Sie an Ihrer Arbeit besonders geschätzt?

An meiner Arbeit habe ich vor allem drei Momente sehr geschätzt:

Als erstes waren und sich dies bis heute (fast) alle Aspekte der wissenschaftlichen Arbeit als Soziologe; immer zusammen mit interessanten Kolleg*innen und mit großen Gestaltungsfreiheiten (die uns immer hin unsere Verfassung explizit einräumt … was nicht jedem gefällt). Das betrifft vor allem die Chance sowohl direkt in der Gesellschaft (sozusagen in der richtigen Wirklichkeit „vor Ort”) empirisch mit qualitativen und ethnographischen Methoden forschen zu können, als auch zugleich in vielfältiger Weise auf anspruchsvolle Weise soziologische „Theorie” betreiben zu dürfen. Beides hab ich als sehr faszinierend und tatsächlich auch als (positiv) „aufregend” erlebt, aber auch als anspruchsvoll und gelegentlich mühsam.

Als zweites war dies die Möglichkeit in direktem Kontakt junge Menschen ausbilden und sie ganz persönlich fördern zu können (was leider mit den neuen Studienformen immer schwieriger wird; s.u.); das ist sozusagen der „pädagogische” Anteil der Arbeit als Hochschul-Lehrer (den man bitte nicht mit dem Schul-Lehrer verwechseln sollte, auch wenn es Ähnlichkeiten gibt).

Ein dritter Aspekt war und ist zu erleben, dass das, was wir in als Soziolog*innen tun “nachgefragt” wird; dass es in vielen Bereichen einen großen und ernsthaften Bedarf gibt, Information über unsere Gesellschaft zu bekommen und dabei auch Einsichten (durchaus kritisch bewertet) über Probleme und deren Ursachen zu erhalten sowie Einschätzungen zu hören, wohin sie die Gesellschaft möglicherweis hinentwickelt.

Dass jeder dieser Moment ganz eigene Herausforderungen bereithält und Fähigkeiten erfordert, muss sicherlich nicht gesondert betont werden.

Wie hat sich die Universität als Arbeitsfeld über Ihre Karriere hinweg entwickelt?

Das ist ein schwieriges und sehr kontrovers diskutiertes Thema. Markant war die Umstellung auf die neuen Studiengänge, an denen ich intensiv mitgewirkt habe. Vieles davon ist für mich nach wie vor überaus problematisch - in der Art, wie es implementiert wurde und hinsichtlich der Auswirkungen, für alle Seiten (nicht zuletzt für die Studierenden).

Sehr drastisch waren und sind zudem die Veränderungen an den Hochschulen durch eine drastische Ökonomisierung in Verbindung mit rigiden Kontrollstrategien - beides ist in meinen Augen (zumindest so, wie es meist gemacht wird) mit den Aufgaben und dem Ethos von Wissenschaft und Hochschullehre nur mühsam (wenn überhaupt) vereinbar.

Daraus entstehen nicht zuletzt völlig neuartige und zum Teil massive persönliche Belastungen für alle Beteiligten, für die Professoren*innen aber vor allem auch für die Mitarbeiter*innen, von denen viele hart an der Grenzen dessen arbeiten, was für sie persönlich tragbar ist (nicht zuletzt motivational und vor allem psychisch - ich habe selber zu Burn-Out u.ä. geforscht). Der Druck ist ohne Übertreibung massiv.

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Welchen Rat würden Sie Soziologie-Studierenden vor dem Hintergrund Ihrer These des Arbeitskraftunternehmers geben?

Für jeden Beruf gibt es viele fachübergreifende Fähigkeiten, die man so früh und so intensiv erwerben sollte, wie es nur geht. Was das ist, kann man an vielen Stellen nachlesen (es gibt ganz gute Bücher zum Thema „Soziologie als Beruf”) … und man sollte es sehr ernst nehmen. Und dies nimmt historisch deutlich zu - oft treten dahinter sogar die direkten Anforderungen relativ zurück.

Gerade Soziolog*innen müssen sich darauf einstellen, dass sie sich ihr ganze Berufsleben sehr flexibel immer wieder neue auf Anforderungen werden einstellen müssen - das kann motivierend sein, ist aber anstrengend.

Zwei Dinge möchte ich hervorheben: Man muss sehr sorgfältig auf sich (aber auch auf sein persönliches Umfeld) psychisch und körperlich „acht” geben (auch das kann man vielfach nachlesen - wir will, sogar bei Foucault, wenn er von Techniken der „Selbstsorge” spricht). Zudem ist es wichtig (gerade auch bei Soziolog*innen) sich immer wieder in Form einer Selbstmotivierung zu fragen, was macht mir Spaß, was kann ich, was will ich, mit was für Leuten will ich zusammenarbeiten … in Verbindung mit der Frage, warum bin ich Soziolog*in, was verbinde ich ganz persönlich (!) mit diesem Fach, was kann ich Spezifisches mit meinem Fach „Soziologie” in verschiedenen Praxisfeldern anbieten.

Dazu muss man wissen, dass der lange Zeit kolpotierte schlechte Ruf der Soziologie (Taxifahrer, Schwätzer, Revoluzzer) heute nur noch selten ernsthaft zu finden ist - und er war auch früher nicht so schlecht wie es manche Miesmacher gerne dargestellt haben). Im Gegenteil: soziologische Expertise (d.h. das Wissen darüber, wie Gesellschaft funktioniert) ist in vielen Bereichen, gerade auch in Wirtschaftsunternehmen, mehr denn je gefragt, aber man muss wissen, wie man das dann rüberbringt.

Ist „Professor*in“ ein realistischer Berufswunsch oder sollte man lieber etwas niedriger zielen?

Professor*in (mit all seinen Aspekten) ist ein faszinierender aber mehr denn je anstrengender Beruf - aber welcher Beruf ist das heute nicht. Der Weg ist sehr lang, sehr prekär, führt oft an erhebliche persönliche Grenzen und nur wenige schaffen es wirklich einen auskömmlichen Platz zu finden. Vor allem der Einstieg in die Wissenschaft direkt nach dem Studium und dann noch mehr der Umstieg in eine halbwegs gesicherte Position (was nicht immer eine klassische Professorenposition sein muss - viele meiner Kolleg*innen arbeiten sehr erfolgreich in Forschungseinrichtungen … und nicht selten habe ich sie deswegen beneidet) ist sehr schwierig. Da wird man leicht 45 Jahre und mehr … und weiß immer noch nicht, wie es weitergeht. Und mit Max Weber (dessen Vortrag „Wissenschaft als Beruf” ich sehr empfehle) kann ich nur sagen: Ohne Leidenschaft geht es ganz sicher nicht, Leidenschaft allein reicht aber auch nicht.

Vielen Dank für das Interview!

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Veröffentlicht am: 07. April 2017